Savoir Vivre

Agnes Scherer (*1985) entwickelt in ihren Arbeiten einzigartige Präsentationsformen, indem sie handgefertigte Artefakte in ganzheitliche theatrale Zusammenhänge einbettet. Mit ihren aufwendigen Operetten und narrativen Installationen schafft sie komplexe Bildwerke, die sich einer unmittelbaren Objektivierung und Kommerzialisierung widersetzen und vom Betrachter ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit und Engagement verlangen.
Treffsichere historische Paraphrasen gegenwärtiger politischer Streitpunkte zeichnen die Arbeit der in Berlin ansässigen deutschen Künstlerin aus. Sie verwandelt ganze Ausstellungsräume in Bühnen zur Aufführung einer so ›präzise‹ wie ›grotesk‹ nachgebildeten geschichtlichen Wirklichkeit mit modellhafter Bedeutung für das Jetzt.

Zur Gestaltung ihrer Welten verdichtet Scherer Malerei zu Skulptur und Installation. Sie arbeitet mit Malerei im architektonischen Maßstab (als Großobjekt, Wandbehang oder Raumteiler) und baut riesenhafte Figuren, die zu Bildträgern werden. Auf einzigartige Weise verbindet Scherer Wissen, das sie als Dramaturgin für Sasha Waltz und durch ihr Malereistudium bei Peter Doig in Düsseldorf erwarb.

Für ihr Projekt ›Savoir Vivre‹ wird Scherer die hohe Ausstellungshalle des Heidelberger Kunstvereins in einen mittelalterlichen Turnierplatz mit Tribüne transformieren und das Fortleben der Kultur ›höfischer Minne‹ in der fiktionalen Überhöhung der ›Frau‹ — zum Preis und Zweck des Wettbewerbs — in aggressiv kompetitiven Männergesellschaften aufs Korn nehmen. Scherers Entwurf baut direkt auf den architektonischen Eigenheiten des Kunstvereins auf: In seiner Haupthalle kollidieren die Figuren zweier Turnier-Ritter auf Pferdetorsi mit reich bemalten Schabracken.

Das Obergeschoss ragt als Balkon in die Halle hinein. Hier reihen sich an der Balustrade Hofdamen, als Hohlkörper gebaut, sodass Besucher:innen von hinten eintreten können, um durch genau ausgerichtete Augenlöcher auf die Aufführung martialischer Männlichkeit herunterzublicken. Scherer karikiert, wie die symbolische Erhöhung der realen Erniedrigung der Frauenrolle gleichkommt. Ihre künstlerische Recherche zeigt: Nach Turnieren rühmten sich Minne dichtende Ritter ihres ›Lanzenverbrauchs‹, des Verschleißes von Material und Leben im Zeichen hohler Ehre, zum Wohle von niemandem.

Agnes Scherer (geb. 1985 in Lohr am Main, Deutschland) lebt und arbeitet in Berlin und Salzburg. Sie ist Professorin für Malerei an der Mozarteum University in Salzburg. Sie studierte Kunstgeschichte und Archäologie in Tübingen und Wien und Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf.

Datum

01 Mai 2023
Abgelaufen!

Uhrzeit

0:00 - 0:00
Heidelberger Kunstverein

Standort

Heidelberger Kunstverein
Hauptstr. 97, 69117 Heidelberg
Kategorie
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